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Psychische Folgen nicht verdrängen!

ExpertInnen und Betroffene sind sich einig: Mit besserem Schutz ist man nach Eisenbahnunfällen wieder rascher und sicherer im Beruf zurück!

Die Gewerkschaft vida fordert, dass im Rahmen der demnächst im Parlament zu beschließenden Eisenbahngesetznovelle für alle bei den Bahnen im ausführenden Betriebsdienst Beschäftigten, die während der Dienstzeit in schwere Unfällen mit Personenschaden involviert werden, eine 72-stündige Dienstfreistellung fixiert werden muss, weil das die Sicherheit im System Bahn weiter anhebt. Die vida holte dazu Stellungnahmen und Meinungen von Betroffenen und ExpertInnen ein.

Die Fragen bleiben weiter im Kopf

„Ich hatte bereits vier Unfälle, bei einem davon kam eine Person zu Tode“, schildert ein betroffener Triebfahrzeugführer (Name ist der Redaktion bekannt) gegenüber der vida-Redaktion etwa einen Unfall bei einer Eisenbahnkreuzung. „Ich habe auch heute noch diese Bilder im Kopf. Im ersten Moment nach einem Unfall weißt du ja nie, was passiert ist, wenn du ein Auto erwischt hast. Ich kann mich zum Beispiel noch daran erinnern. Wie ich mit dem Zug unterwegs war, da war ein Auto zwischen den Schranken eingesperrt. Ich habe das Auto erwischt und habe noch ein Baseball-Kapperl eines Kindes im Auto liegen gesehen. Zum Glück haben sich dieses Mal alle Insassen aus dem Auto befreien können“, erzählt der Betroffene, dass die Fragen in seinem Kopf aber geblieben sind. 

„Hätte ich besser aufpassen sollen?“, sagt der Triebfahrzeugführer, dass er noch immer auf psychologische Betreuung angewiesen ist, weil Unfallsituationen immer wieder unregelmäßig in seinem Inneren hochkommen. „Eine Freistellung für 72 Stunden wäre daher sehr wichtig, damit der Druck vom Einzelnen sofort reduziert werden kann, weil in den Tagen und Wochen danach noch immer unfassbar viel Stress nach solchen Unfallsituationen folgen können“, so der Kollege.

Außerhalb des alltäglichen Stressempfindens

Plötzlich und unerwartet eintretende Ereignisse, wie zum Beispiel Unfälle, plötzlicher Tod, schwere Krankheit, Verletzungen und viele weitere, lösen beim Menschen Stress aus. Dieser Stress liegt außerhalb des alltäglichen Stressempfindens und kann sich daher zu einem pathologischen Stress entwickeln. Das heißt, die betroffene Person kann ihre Reaktionen auf das belastende Ereignis nicht mehr kontrollieren und bleibt längerfristig belastet, erklärt dazu die erfahrene Gesundheits- und Klinische Psychologin Mag. Bettina Galli-Magerl vom Österreichischen Roten Kreuz, Landesverband Steiermark. „Dass ein jeder Mensch in den ersten Tagen nach einem Ereignis Stress gemeinsam mit Stressreaktionen wie Nervosität, Herzrasen und verschiedene Sinneseindrücke wie Hören, Sehen, Fühlen, Riechen was vor Ort passiert ist, empfindet, ist normal“, verdeutlicht Galli-Magerl ihre Erlebnisse als Mitglied eines Kriseninterventionsteams nach Unfällen. Dauern diese Reaktionen bzw. Empfindungen länger an, kann sich aus Stressreaktionen eine akute Belastungsstörung und in weiterer Folge eine posttraumatische Belastungsstörung bis hin zum Burn Out entwickeln, warnt die Psychologin.

Von massiven Schuldgefühlen geplagt

Bei Unfällen auf den Schienen - sprich Person gegen Zug - kommt neben der Tatsache, dass das Ereignis unerwartet und plötzlich ist und auch Stress auslöst, weiters hinzu, dass vor allem LokführerInnen von massiven Schuldgefühlen geplagt sind. Aussagen Betroffener wie "Ich habe jemandem weh getan“, „Ich habe jemanden umgebracht“, „Ich konnte nichts anderes tun, als die Augen zu schließen und zu warten" geben uns klar zu verstehen, wie intensiv betroffen diese Personen sind. „Besondere Aufmerksamkeit steht auch den Zugbegleitern zu. Diese stehen bei einem tödlichen Unfall auf den Gleisen vor einer besonderen Herausforderung. Denn sie sind es, die aussteigen müssen, um nachzusehen, ob die Person noch lebt und ob noch erste Hilfe geleistet werden kann“, so Galli-Magerl.

Schnellstmögliche Betreuung von größtem Wert

„Aus psychologischer Sicht ist es somit keine Frage mehr, ob jemand nach einem derart belastenden Ereignis betreut und von seiner Tätigkeit freigestellt werden soll. Eine schnellstmögliche Betreuung ist für die psychische Gesundheit eines jeden Menschen, der ein belastendes Ereignis miterleben musste oder aufgrund eines belastenden Erlebnisses in einer Lebenskrise steckt, von sehr großem Wert. Ziel ist immer, betroffene Personen durch das Angebot einer Betreuung und Freistellung wieder stabil in den beruflichen Alltag einzugliedern und Langzeitfolgen auf der psychischen Ebene zu vermeiden“, betont die Expertin.

Man hadert innerlich mit sich selbst

Dem stimmt auch die Psychologin Mag. Hanna Dachauer, Leiterin der psychologischen Beratungsstelle Seelenfitness, zu. Sie und ihr Team haben bereits zahlreiche Betroffene nach schweren Eisenbahnunfällen betreut. „Die Menschen befinden sich nach schweren Unfällen in Schockzuständen. Sie sind traumatisiert, ohne dass dies für andere auf den ersten Blick erkennbar ist. Solche Zustände sind schwer abschätzbar, zumal Betroffene oft selbst das Ausmaß nicht beurteilen können und innerlich Konflikte austragen“, sagt die erfahrene Psychologin.

„Wenn man hier als verantwortungsvoller Dienstgeber auf Nummer sicher gehen will, um weiteren Schaden von Betroffenen, Sicherheitsrisiken vom Personal und von Fahrgästen fern halten will, dann kommt man an einer 72-stündigen Dienstfreistellung und auch an psychologischer Betreuung als Angebot nicht vorbei“, empfiehlt Dachauer.

Man darf sich nicht selbst überfordern  

„Bei Unfällen, die im Dienst passieren, muss auch der Druck der Leistungsgesellschaft, der in fast allen von uns drin ist, mitbedacht werden. Es herrscht ein Bild vor, dass man stark und leistungsfähig sein muss. Man will nicht als schwach gelten und überfordert sich damit schnell selbst, indem man versucht, alles zu verdrängen, und man kehrt dann schon viel zu früh in den Dienst zurück. Hat man aber ein paar Tage Zeit, um mit sich selbst wieder weitestgehend ins Reine zu kommen oder psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, dann ist das für alle besser und sicherer“, spricht die Psychologin aus Erfahrung.

Arbeitsfähigkeit erhalten, Langzeitfolgen vermeiden

Wenn man derart traumatisierende Erlebnisse zu unterdrücken versucht, dann kann das psychosomatische Langzeitfolgen auslösen, die sich etwa auch in chronischen Rückenschmerzen oder unkontrollierten Gewichtszunahmen manifestieren können. „Hat man aber nach einem Unfall sofort die Möglichkeit einer Dienstfreistellung inklusive einer entsprechenden psychologischen Betreuung, dann kann die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit dadurch auf alle Fälle positiv beeinflusst werden“, bekräftigt Dachauer.    

 

 

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