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„Inklusion ist kein Extra, sondern ein Menschenrecht“

Arbeitsrechtsexpertin Birgit Schrattbauer über Chancen und Barrieren für Menschen mit Behinderungen – und darüber, was Gewerkschaften zu einer inklusiven Arbeitswelt beitragen können.

vida Hören | Podcast

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Trotz Fortschritten bleibt die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben in Österreich eine große Herausforderung. Im vidaHören-Podcast zu Gast ist Juristin Birgit Schrattbauer von der Universität Salzburg. Wir sprechen über rechtliche Stolpersteine, praktische Herausforderungen und gesellschaftliche Vorurteile – und darüber, wie Betriebe, Politik und Gewerkschaften gemeinsam eine barrierefreie Arbeitswelt gestalten können.

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„Jeder sollte die Möglichkeit haben, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen. Auch Menschen mit Behinderungen sollten frei wählen können, welche Tätigkeit sie ausüben möchten.“

Birgit Schrattbauer, Arbeits- und Sozialrechtsexpertin, Universität Salzburg

Teilhabe – auch in der Arbeit

Die UN-Behindertenrechtskonvention, die Österreich 2008 unterzeichnet hat, verpflichtet zur Schaffung einer inklusiven Arbeitswelt. Für Birgit Schrattbauer, Juristin an der Universität Salzburg, ist klar: Menschen mit Behinderungen haben nicht nur ein Recht auf Arbeit – sie sollen an allen Lebensbereichen teilhaben können: gleichberechtigt, barrierefrei und selbstbestimmt.

Strukturelle Benachteiligung

Doch die Realität in Österreich sieht anders aus. Ein Blick in einen Bericht des Sozialministeriums zeigt: Die Arbeitslosenquote unter Menschen mit Behinderungen ist fast doppelt so hoch wie bei nichtbehinderten Personen. Wer einmal arbeitslos wird, braucht oft über zwei Jahre, um eine neue Stelle zu finden. Viele landen im sogenannten „geschützten Arbeitsmarkt“ – häufig ohne reguläre Lohnansprüche und ohne Pensionsanwartschaften.

Barrieren im System

Ob bauliche Hindernisse, komplizierte Sprache, starre Arbeitszeitmodelle oder tief verwurzelte Vorurteile: Die Hürden für Menschen mit Behinderungen sind vielfältig. Besonders kritisch sieht Schrattbauer die medizinisch geprägte Beurteilung der Arbeitsfähigkeit im österreichischen System – sie blockiere oft den Zugang zu Leistungen. Inklusion bedeute nicht, dass sich die Person an das System anpassen müsse – sondern umgekehrt, betont die Arbeitsrechtsexpertin: „Inklusion bedeutet, Arbeitsstrukturen so zu gestalten, dass Menschen mit Behinderungen tatsächlich eine Tätigkeit ausüben können. Am Arbeitsplatz müssen angemessene Vorkehrungen getroffen werden, um individuelle Barrieren abzubauen.“

Potenziale statt Vorurteile

Nur rund ein Viertel der Unternehmen in Österreich erfüllt derzeit die gesetzliche Verpflichtung zur Beschäftigung begünstigter behinderter Personen. „Viele Firmen sehen Inklusion noch immer als Zusatzaufwand – dabei kann inklusive Arbeitsgestaltung allen zugutekommen“, sagt Schrattbauer. Für sie beginnt Inklusion nicht erst im Berufsleben, sondern bereits im Bildungssystem: Schulen müssten Vielfalt abbilden und fördern. Gleichzeitig bräuchten Unternehmen individuelle Lösungen und mehr Flexibilität – etwa bei Arbeitszeiten, Aufgabenverteilung oder Homeoffice-Regelungen. Digitalisierung sei dabei zugleich Chance und Risiko, so die Expertin.

Gewerkschaften als Motor für Inklusion

„Humanisierung der Arbeit“ – so beschreibt Birgit Schrattbauer das gewerkschaftliche Grundanliegen, das eng mit der inklusiven Idee verbunden ist. Gewerkschaften können viel bewirken: etwa durch Kollektivvertragsverhandlungen gezielte Maßnahmen verankern, durch Schulungen Bewusstsein schaffen oder auf politischer Ebene für höhere Ausgleichstaxen und Anreize für inklusive Unternehmen eintreten. Schrattbauer blickt optimistisch in die Zukunft. Veranstaltungen wie die Inklusionstagung von Gewerkschaften und anderen Mitstreiter:innen zeigen ihr, dass Engagement und Vernetzung Wirkung zeigen: „Es ist schon viel gelungen. Das verpflichtet uns, weiterzumachen.“