vida

24-Stunden-Betreuung

Es fehlt an Fairness, Transparenz und Qualität. Im Einsatz für verbindlichen gesetzlichen Rahmen.

Mit dem Jahr 2007 wurde eine bis dahin illegale Praxis von häuslicher Rund-um-die-Uhr-Betreuung durch vornehmlich osteuropäische Frauen gesetzlich geregelt und damit legalisiert. „Das war ein wichtiger und richtiger Schritt. Wurden dadurch doch die Betreuungstätigkeit aus dem Schwarzmarkt und die BetreuerInnen wie auch die Familien aus der Illegalität geholt. Aber nach nunmehr elf Jahren praktischer Erfahrung mit der Personenbetreuung zeigt sich, dass bei Weitem noch nicht alles in Ordnung ist. Es fehlt in vielen Fällen Fairness, Transparenz und Qualität. Es wird Zeit für nächste Schritte“, sagt AK Präsidentin Renate Anderl und verlangt einen verbindlichen gesetzlichen Rahmen, damit eine gute Qualität für Menschen mit Pflegebedarf, deren Familien und die PersonenbetreuerInnen sichergestellt werden kann.

Franz Binderlehner von der Gewerkschaft vida und der Gewerkschaftsinitiative vidaflex dazu: „24-Stunden-BetreuerInnen leisten fernab von ihrer Heimat und Familie bis zu einem Monat psychische und physische höchstanstrengende Arbeit, die sie oft an die Leistungsgrenzen bringt. Was für die meisten übrig bleibt: viel Verantwortung für wenig Lohn, Knebelverträge mit Vermittlungsagenturen und soziale Isolation aufgrund von Sprachbarrieren.“ Die Erfahrungen von vidaflex werden jetzt auch durch eine Erhebung des Vereins für Konsumenteninformation über die Geschäftspraktiken von Vermittlungsagenturen gestützt. Diese zeigt, dass immer noch viele Agenturen sehr intransparent und zum Nachteil der KundInnen und BetreuerInnen agieren.

Zahlen und Fakten

  • Es gibt rund 64.000 aktive Gewerbeberechtigungen für das Gewerbe der Personenbetreuung.
  • Über 24.000 BetreuerInnen kommen aus der Slowakei, über 27.600 aus Rumänien.
  • Über die Hälfte der BetreuerInnen sind zwischen 45 und 59 Jahre alt.
  • Im April 2018 waren 612 Vermittlungsagenturen für Personenbetreuung bei der Wirtschaftskammer gemeldet.

In der öffentlichen Wahrnehmung nimmt die sogenannte 24-Stunden-Betreuung breiten Raum ein, in der Realität spielt sie im Vergleich zu anderen Angeboten aber nur eine untergeordnete Rolle. Nur 7,5 Prozent der rund 456.000 PflegegeldbezieherInnen bedienen sich dieser Form der Betreuung. Zum Vergleich: 32 Prozent der PflegegeldbezieherInnen werden zu Hause von mobilen Diensten begleitet und knapp 17 Prozent leben in Pflegeheimen. In absoluten Zahlen sind im Jahr 2017 rund 34.400 Personenbetreuungen in Privathaushalten öffentlich gefördert worden. Die Kosten für die Förderung dieser Betreuung beliefen sich auf 159 Millionen Euro. Die Gesamtkosten für das Pflegegeld betrugen im selben Jahr 2,6 Milliarden Euro. Auch an diesen Zahlen erkennt man den Stellenwert der 24-Stunden-Betreuung sehr gut.

Weiße und schwarze Schafe

Unbestritten ist, dass sich die 24-Stunden-Betreuung neben der informellen Pflege, der Betreuung durch Angehörige, den mobilen und stationären Diensten, neben alternativen Wohnformen oder der Kurzzeitpflege als eine Säule im Pflegesystem etabliert hat. Aber die Praxis zeigt: Es gibt jede Menge Mängel in diesem System. Zwar gibt es auch gute Agenturen in der 24-Stunden-Betreuung, die Qualität, Sicherheit und Nachvollziehbarkeit für ihre KundInnen gewährleisten. Letztlich können sich diese guten Angebote aber nicht durchsetzen, solange sich schlechte Geschäftspraktiken, mangelndes Interesse an Qualität und Dumpingpreise im Markt halten können.

Vielfach hat es den Anschein, dass manche Vermittlungsagenturen die Situation der Familien, aber auch der BetreuerInnen ausnützen. Die Familien werden oft von der neuen Pflegesituation überrascht und haben weder das Wissen noch die Zeit dafür, sich darüber klar zu werden, was Agenturen dürfen und was nicht. Auch die BetreuerInnen haben meist nicht die Sprachkenntnisse, um die komplexe rechtliche Dimension zu erkennen, in der sie sich im Beschäftigerland befinden. Viele wissen am Beginn ihrer Tätigkeit gar nicht, dass sie selbstständig erwerbstätig sind.

Die größten Problemfelder für die BetreuerInnen

  • Hohe fachliche Anforderungen: Es gibt eine Vielzahl von fachlich anspruchsvollen Betreuungssituationen, wie bei Menschen, die nur schwer mobilisiert werden können, KundInnen im Rollstuhl oder die Betreuung von Menschen mit Demenz. Die Häufigkeit der letztgenannten Betreuungssituationen steigt mit der wachsenden Anzahl von demenziellen Erkrankungen. Viele BetreuerInnen begleiten Menschen auch langjährig bis in die letzte Lebensphase. Die wenigsten BetreuerInnen sind auf diese Herausforderungen vorbereitet und dafür ausreichend qualifiziert.
  • Komplexe Betreuungssituationen: Häufig sind PersonenbetreuerInnen nicht nur mit dem unmittelbaren Unterstützungsbedarf der KundInnen, sondern auch mit schwierigen Situationen im sozialen Umfeld konfrontiert. Dazu zählen beispielsweise Konflikte in der Familie des betreuten Menschen, unrealistische Anforderungen von Angehörigen, unklare Leistungsvereinbarungen, Probleme bei der Qualität der Unterkunft und Verpflegung bis hin zu Suchtproblematiken im Umfeld.
  • Mangelnde Unterstützung und Beratung: Die PersonenbetreuerInnen sind vorwiegend alleine in den Haushalten tätig und erhalten in der Praxis wenig bis keine Unterstützung in schwierigen Situationen, wie sie andere Berufsgruppen durch Teambesprechungen, Beratung oder Fortbildungen zur Verfügung stehen. Das erhöht das Risiko für Überforderung. Auch bei der Bewältigung der administrativen Anforderungen der Selbstständigkeit erhalten PersonenbetreuerInnen durchwegs zu wenig Unterstützung.
  • Übernahme medizinischer und pflegerischen Tätigkeiten: Problematisch ist nach wie vor die Umsetzung der rechtlich geregelten Delegation von medizinischen und/oder pflegerischen Tätigkeiten. Immer wieder werden von PersonenbetreuerInnen Tätigkeiten durchgeführt, zu denen sie ohne Delegation nicht berechtigt sind. Grund dafür sind oftmals mangelndes Wissen über die rechtliche Situation bei BetreuerInnen und Familien, aber auch großer Druck seitens der Familien, bestimmte Tätigkeiten zu übernehmen.
  • Intransparente und benachteiligende Agenturverträge: Es gibt Vermittlungsagenturen mit fragwürdiger Geschäftsgebarung. Viele PersonenbetreuerInnen kämpfen beispielsweise mit hohen Strafzahlungen bei Agenturwechsel oder einer Verpflichtung zur Nutzung überteuerter und unsicherer Transportangebote sowie hohen monatlichen Agenturgebühren oder mit der Auszahlung des Entgelts über die Agentur.

Die größten Problemfelder für Menschen mit Betreuungsbedarf und ihre Familien

  • Leistbarkeit und Dumping-Angebote: Die 24-Stunden-Betreuung stößt für viele betreuungsbedürftige Personen und deren Familien an die Grenzen der Leistbarkeit. Personenbetreuung ist damit trotz Legalisierung und Förderung ein Angebot für finanziell besser gestellte Menschen. Vielfach wird daher seitens der KundInnen nach dem billigsten Angebot Ausschau gehalten, weil die Kosten von qualitativ hochwertigen Angeboten zu hoch sind. Dumping-Angebote können aber keine gute Qualität bieten und arbeiten auf Kosten der betreuten Menschen und der BertreuerInnen. Ärmere Menschen müssen in der Praxis schneller die eigenen vier Wände verlassen und in ein Pflegehaus übersiedeln als reichere.
  • Entwertung der Förderung: Die bestehende Förderung war ursprünglich zur Abdeckung der erhöhten Kosten durch die Legalisierung von Schwarzarbeit gedacht. Die Beträge wurden seit über zehn Jahren nicht valorisiert, wodurch die Kaufkraft der Förderung seit 2007 rund 25 Prozent1 einbüßte.
  • Intransparente und benachteiligende Agenturverträge: Auch KundInnen von Vermittlungs-agenturen mit unseriösen Geschäftspraktiken sind häufig mit versteckten Kosten, überzogenen Gebühren und unklaren Leistungen konfrontiert.
  • Mangelnde Unterstützung der Angehörigen: Betreuungsbedürftigkeit in der Familie kann inner-familiäre Konflikte und Belastungen verstärken. In der Praxis setzen sich innerfamiliäre Streitigkeiten auch im Verhältnis zu den PersonenbetreuerInnen fort. Die Betreuungsqualität und die Zufriedenheit der betreuten Person und ihrer Angehörigen sinkt. Viele Familiensituationen können ohne Unterstützung nur noch schwer stabilisiert werden. 
  • Intransparente Angebotssituation: Wenn Personenbetreuung gebraucht wird, muss es meistens schnell gehen. Dann zeigt sich, dass es eine überaus schwere Aufgabe ist, eine gute Agentur zu finden. Denn es gibt keine Marktübersicht über die Anbieter und deren tatsächliches Angebotspaket. Die Angebote sind vielfach unklar und kaum miteinander vergleichbar.

Die größten Problemfelder für die Agenturen

  • Wettbewerbsnachteil für Qualitätsagenturen: In den letzten Jahren hat sich ein wachsender Bereich im Billigpreissegment gebildet, dem von vielen KundInnengruppen aufgrund der günstigeren Kosten der Vorzug gegenüber großen qualitätsgesichert arbeitenden VermittlerInnen gegeben wird. Zudem ist der Leistungsunterschied von qualitätsbewussten Agenturen zu Billig-Anbietern nicht ausreichend am Markt sichtbar.
  • Schlechtes Branchenimage: Aufgrund der unsauberen Geschäftspraktiken eines Teils von in Österreich tätigen Agenturen (mit Sitz im In- und Ausland) hat die Personenbetreuung ein negatives Image unter dem auch jene Agenturen leiden, die gute Dienstleistungen für Menschen mit Betreuungsbedarf und PersonenbetreuerInnen anbieten.

Unsere Forderungen

Zur Verbesserung der Personenbetreuung fordern AK, vida und vidaflex ein Rahmengesetz, welches insbesondere dafür sorgt, dass

  • ausreichend Transparenz geschaffen wird. Das bedeutet auch zu wissen, wer welches Geld für welche Leistung bekommt. Familien sollen auch wissen, was die PersonenbetreuerInnen bekommen. BetreuerInnen sollen im Vorhinein wissen, welche Leistungen sie von Agenturen für ihre Gebühren tatsächlich erhalten. Die Verträge und Leistungsbedingungen müssen offengelegt sein.
  • Fairness garantiert wird. Daher ein klares Verbot von Knebelungsverträgen, Pauschalzahlungen ohne Leistung, von Strafzahlungen bei Vertragsauflösungen oder des Zwangs zur Nutzung bestimmter Transportmittel. Alle sollen sich auf Augenhöhe begegnen können.
  • Qualität gesichert ist. Familien und PersonenbetreuerInnen müssen eine fachlich kompetente Begleitung erhalten, die berät, bei Konflikten unterstützt und darauf achtet, dass pflegerischer und medizinischer Handlungsbedarf sicher und korrekt abgedeckt wird. Diese Qualitätssicherung kann durch systematische Einbindung der Hauskrankenpflege erfolgen.
  • die PersonenbetreuerInnen so viel handwerkliches Rüstzeug mitbringen, dass sie die Herausforderungen in der Betreuung auch gut bewältigen können. Eine Mindestqualifikation auf Heimhilfeniveau und ein offenes System zur Fortbildung sind die Voraussetzung dafür.
  • Klar ist: Qualität gibt es nicht gratis. Deshalb muss die Förderung der 24-Stunden-Betreuung nach über zehn Jahren deutlich erhöht werden, damit sie auch leistbar bleibt. Alleine um den bisherigen Wertverlust seit 2007 auszugleichen, müsste die aktuelle Förderung um 140 Euro angehoben werden. Zur Abdeckung zusätzlicher Kosten durch die erforderlichen Qualitätsverbesserungen braucht es entsprechend mehr. Voraussetzung für die Auszahlung der Förderung muss aber die Einhaltung der Rahmenbedingungen sein.
     
Für dich da! Gewerkschaft vida Fachbereich Soziale Dienste Johann-Böhm-Platz 1
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Über uns

Der Fachbereich Soziale Dienste in der Gewerkschaft vida vertritt die Arbeitnehmer:innen in den mobilen Betreuungsberufen (Heimhilfe, Essen auf Räder, Besuchsdienst, Reinigungsdienst), Mitarbeiter:innen im Rettungs- und Krankentransport, Arbeitnehmer:innen in Heimen und Internaten (in der Systemerhaltung im Bereich Kinder, Jugend, Studenten, Erwachsene und Pflege- sowie Wohn- und stationäre Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen für ältere Menschen, z. B. Küchenpersonal, Köch:innen, Hausarbeiter:innen, Hausbetreuer:innen, Pflegehilfen, Kindergartenhelfer:innen, Abteilungshilfen, Klubbetreuer:innen, Reinigungspersonal) und Arbeitnehmer:innen in privaten Haushalten. Unser zentrales Anliegen in einem kostenorientierten Dienstleistungsbereich ist die stetige Weiterentwicklung der Arbeits- und Lebensbedingungen unserer Mitglieder. Schließlich sind faire Arbeitsbedingungen und gerechte Löhne unabdingbare Voraussetzungen für ein Mehr an Lebensqualität.

Fachbereichsvorsitzende: Sylvia Gassner
Fachbereichssekretär:innen: Michaela Guglberger