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SOS Pflege

Ein Hilfeschrei der HelferInnen oder warum Applaus, Balkongesang oder eine Packung Merci leider nicht genug sind.

Die Akutphase des Corona-Virus ist glücklicherweise vorbei. Wochenlang hielt das Virus auch Österreich in Atem und stellte alle Bereiche des Lebens vor eine Herausforderung. Corona brachte aber auch die Ungerechtigkeiten, die miesen Arbeitsbedingungen und schlechte Bezahlung einiger Branchen ans Tageslicht. Das scheint eine Krankenpflegerin zu ärgern, die sich mit einem Brief an die Gewerkschaft vida wandte.

Berufung Pflege

„Ich bin mit Leib und Seele Gesundheits- und Krankenpflegerin mit Fachausbildung OP von Beruf, auch bekannt als OP-Schwester. Ja, es ist für mich tatsächlich eine Berufung, aber es gibt da etwas, das mir schon seit meiner Ausbildung ein Dorn im Auge ist“, erzählt sie und betont, dass es an der Zeit für Veränderung ist. „Unser Gesundheitssystem in Österreich gilt als stabil und sicher, im Vergleich zu anderen Ländern wage ich hierzu auch keine Zweifel zu hegen und bin dafür sehr dankbar.“ Schaue man aber genauer hin, kommen alltägliche Probleme ans Tageslicht, wie extreme Arbeitsbedingungen, ein immer größer werdendes und untragbares Arbeitspensum und nicht zuletzt die vergleichbar geringe Bezahlung und darunter leidende Pflegekräfte. „Das Thema Burnout scheint immer mehr an Bedeutung zu gewinnen. Menschen, die in diesem Beruf arbeiten oder jemanden kennen, der in diesem Bereich tätig ist, wissen wovon ich hier spreche. Pflegepersonen in Alten-und Pflegeheimen, der (mobilen) Heim-Pflege, im klinischen Bereich wie Stationen, Ambulanzen, Intensivstationen oder OP.“

Wertvoll: Faktor Zeit ist Mangelware

Im Gesundheitsbereich scheint es normal zu sein, dass einem an einem anstrengenden 12-Stunden-Dienst offiziell nur eine halbe Stunde Pause zusteht, wie sie sagt. „Nicht selten findet diese - vorausgesetzt man hat das Glück, sie zu nutzen - meist zu einer Zeit statt, die ohnehin nicht mehr als Mittagszeit gelten würde. Die Enttäuschung wird umso größer, wenn es dann in der Betriebskantine nur noch ein Beilagenteller für den hohlen Zahn gibt.“ Ihre Erfahrung zeigt, dass es allzu oft 12-Tage-Wochen durchzuhalten gibt, wo am Ende nur maximal 3 freie Tage als Erholung winken würden, 60-Stunden-Wochen keine Seltenheit seien und an 8-Stunden-Tagen oftmals keine Pause angedacht sei. „Ist es normal, dass natürliche menschliche Bedürfnisse wie Essen, Trinken oder ein Toilettengang zeitlich sehr gut eingeteilt werden müssen, damit sie nicht mit den zu erbringenden Arbeitsleistungen kollidieren? Wenn man sich dann doch irgendwann losreißt, um sich kurz einen Kaffee zu gönnen, plagt einen aber gleichzeitig das schlechte Gewissen, seine Patienten oder die Arbeit zu vernachlässigen, weil der Faktor Zeit an einem normalen Arbeitstag ganz schlicht und einfach Mangelware ist.“ Man müsse körperliche Bedürfnisse hinten anstellen, weil dafür im Arbeitsalltag kein Platz zu sein scheint. Oftmals würden sich schon gesundheitliche Auswirkungen (andauernde Rückenschmerzen, Nackenschmerzen, Kopfschmerzen, Nierenprobleme, um hier nur einige zu nennen) breitmachen.

Bürokratie vs Patient 

„Es wirkt so, als wäre die Dokumentation von jedem einzelnen Arbeitsschritt essenzieller als die Arbeit am Patienten. Die persönliche Note wird seit einer gefühlten Ewigkeit wegrationialisiert aufgrund penibelst genauer Aufzeichnungen eines jeden Handgriffs“, schreibt die Beschäftigte, die anonym bleiben wollte, weiter. Leider seien auch in den verschiedenen Bereichen große Unterschiede erkennbar, was die Anerkennung betrifft, so komme es, dass Pflegekräfte auf Stationen etwa, höheres Ansehen genießen dürfen, während der OP-Bereich hier fast unterzugehen scheint. Dabei trage jeder seinen wertvollen Teil dazu bei, den Patienten optimal zu versorgen. „Von fehlgeplanten, viel zu kleinen Arbeitsräumen und oftmals machtausübenden Chefetagen möchte ich gar nicht erst anfangen. Ich könnte ganze Bücher füllen, um die Missstände aufzuzählen, und ich befürchte, da bin ich leider nicht die einzige Pflegeperson.

Wann ist genug genug?

In vielen Bereichen gibt Schmutz-, Gefahren- und Erschwerniszulage, wobei ich mich bei letzterer frage, ob sie neben dem eigentlichen Zweck dem Puffer dienen, die Launen von Ärzten, überarbeiteten Kollegen und teilweise, zu Recht, unverständnisvollen Patienten aushalten und kompensieren zu müssen“, kritisiert die Kollegin die Umstände. Da brauche man schon „ein dickes Fell, um am Ende des Tages nicht schlaflos im Bett zu liegen. Hilft es wirklich, eine Entschädigungszahlung zu erhalten, oder wäre es nicht sinnvoller und hilfreicher, die Arbeitsbedingungen und Umstände zu verbessern? Es fühlt sich für mich persönlich eher an als würde man uns Schweigegeld zahlen, um die Belastung, den Schmerz und die täglich neue Herausforderung hinunterzuschlucken und doch bitte für uns zu behalten. Trotz des Verständnisses für den überwältigenden Stress und die große Verantwortung von Mitmenschen, scheint es ein ewiger Teufelskreis zu bleiben, der es schier unmöglich macht, von den obersten Stellen ernst genommen zu werden.“

"Wieviele Opfer müssen wir noch bringen?"

"Auch wenn die Probleme der Krise wieder abzuebben scheinen, bleibe dennoch dieser scheinbar ungehörte Schmerz, dieses Gefühl nicht wahrgenommen zu werden. Ein Wunsch nach Unterstützung wird laut, um der persönlichen Verpflichtung und dem Berufsethos nachkommen zu können: die Patienten mit bestem Wissen und Gewissen versorgen zu können. Denn wer aus reinem Herzen heraus diesen Beruf gewählt hat, dem liegt das Wohlergehen seiner Patienten am Herzen“, sagt die Krankenpflegerin, die Fragen stellt: Sollte das Bild einer Pflegeperson wirklich den bitteren Beigeschmack behalten ein aufopferungsvoller Beruf zu sein? Wie viele „Opfer“ muss man bringen, bis sich endlich etwas tut? Man bemüht sich tunlichst, das Berufsbild aufzuwerten. Aber schlechteren Schülern ihre Berufung zu verwehren, weil sie vielleicht keine Matura haben, ist das der richtige Weg? Seit wann ist ein großes Herz ausschließlich akademisch…?

Die Möglichkeit eines lautstarken Protests, um auf die Mängel aufmerksam zu machen, bleibe ihnen verwehrt, da hier Patienten die Leidtragenden wären und sie dies nicht verantworten können und wollen.

Sie schließt mit den Worten, dass „Applaus, Balkongesang oder eine Packung Merci zwar ehren, tun aber hier leider nicht ihr übriges. Ich klage nicht an, ich möchte hier Kritik üben und aufmerksam machen, auf die stillen aber doch vorhandenen Mängel und eigentlich untragbaren Umstände.“

Die Regierung ist gefordert

Die Gewerkschaft vida spricht sich seit Anbeginn für mehr Personal im Gesundheitsbereich aus, um ressourcenorientierte Pflege und Betreuung zu gewährleisten. Darüber hinaus muss die Bezahlung besser werden und – wie Corona gezeigt hat – bester Schutz vor Infektionen selbstverständlich sein. „Die Krise hat deutlich aufgezeigt, was es braucht und wo es Problemstellen gibt. Die Bundesregierung ist am Zug“, unterstreicht Gerald Mjka, Vorsitzendes Fachbereichs Gesundheit die Forderungen im Brief.

 

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Über uns

Der Fachbereich Gesundheit in der Gewerkschaft vida vertritt eine Vielzahl unterschiedlicher Berufsgruppen, die ein gemeinsames Betätigungsfeld vereint – nämlich das Wohlergehen von Menschen in außergewöhnlichen Lebenssituationen. Hier finden sich sämtliche Mitarbeiter:innen von Privatkrankenanstalten und Konfessionellen Einrichtungen Österreichs – von der hochdotierten Primaria bis zur Reinigungskraft. Wir vertreten auch die Beschäftigten der Sozialversicherung. Die Mitarbeiter:nnen der Bäder und Kuranstalten gehören zu dem vida-Fachbereich sowie Arbeiter:innen in Sauna-, Solarien- und Bäderbetrieben, Heilmasseur:innen und die medizinischen MasseurInnen in selbständigen Ambulatorien für physikalische Behandlungen, sofern es sich nicht um Angestellte oder Beschäftigte in Arztpraxen und Spitälern handelt. Dabei engagieren wir uns für faire Arbeitsbedingungen und gerechte Löhne. Sie sind unabdingbare Voraussetzungen für ein Mehr an Lebensqualität.

Fachbereichsvorsitzender: Gerald Mjka
Fachbereichssekretär:innen: Farije Selimi, Markus Netter