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Tod und Trauer am Arbeitsplatz

vida im Gespräch mit zwei Trauer-ExpertInnen.

Susanne erinnert sich an diese eine Besprechung: „Es war Mittwoch. Ein Kollege klagte über Schmerzen in der Brust. Er lachte dies mit der Bemerkung ‚na ja, sicher gestern überanstrengt‘ weg. Nach einer Viertelstunde rutschte er vom Sessel und lag am Boden. Die Rettung konnte nur noch den Tod durch Herzinfarkt feststellen.“ Es gibt Momente im Leben, auf die wir nicht vorbereitet sind. Der Tod eines Kollegen, einer Kollegin ist so einer und erschüttert die gesamte Belegschaft. „Wir waren wie gelähmt, waren einfach nur fertig und wussten nicht, was wir tun sollten“, erzählt Susanne. Was also in so einer schlimmen Situation tun? Was ist richtig? Schweigen ist auf jeden Fall der falsche Weg!

Das vida-Magazin hat Daniela Musiol und Thomas Geldmacher, Trauer-ExpertInnen des Vereins „Rundumberatung“, zum Tabu-Thema interviewt.

vida-Magazin: Wie wird mit Tod und Trauer in den Betrieben umgegangen?

Daniela Musiol: Sehr unterschiedlich. Da es keine Standards gibt, hängt es sehr stark von den handelnden Personen im Betrieb ab, also ob jemand Erfahrung oder ein natürliches Bewusstsein hat, wie man damit umgehen sollte, oder nicht. Wir kennen Fälle, wo der Chef auf einer Baustelle nach einem tödlichen Arbeitsunfall, bei dem ein Mitarbeiter aus dem Fenster geflogen ist, zu den anderen Kollegen sagt: „Arbeitet weiter, dann kommt ihr auf andere Gedanken!“ Aber wir kennen auch Fälle, wo Unternehmensleitung, Betriebsrat und Belegschaft sehr gut damit umgehen.

Thomas Geldmacher: Es gibt in Österreich schon so etwas wie ein „Trauer-Tabu“. Trauer ist Privatsache, da „darf“ man weinen und betroffen sein. Tendenziell hat man am Arbeitsplatz aber zu funktionieren. Das ist eine Ansicht der 90er Jahre, die immer noch vorherrschend ist. Hier mehr Bewusstsein zu schaffen, dass Trauern auch Arbeit bedeutet, und wenn man Vollzeit Trauerarbeit leistet, nicht im gleichen Maß Erwerbsarbeit leisten kann, ist uns sehr wichtig.

vida-Magazin: Seht ihr einen Wandel? Gibt es Betriebe, die sich dem Tabu-Thema stellen?

Daniela Musiol: Ich glaube, dass das Thema Trauern insgesamt mehr in die öffentliche Wahrnehmung rückt. Zum Beispiel durch soziale Medien wie Facebook, wo man öffentlich kondoliert, wo Trauerfälle verkündet werden, wo geschrieben wird, wie es einem gerade geht. Medien, Literatur und Beratungsangebote setzen sich stärker mit dem Thema auseinander – also wie wichtig es ist, die Zeit zu haben, Abschied nehmen zu können, und all diese Aufgaben, die die Trauer beinhaltet, zu erledigen. In den letzten Jahren ist die Palliativ- und Hospizbewegung in der Öffentlichkeit stark präsent. Im Parlament hat es eine eigene Enquete-Kommission gegeben. Bestattungen machen Werbung, es gibt unterschiedliche Formen, wie Begräbnisse abgehalten werden. Man wird also mit dem Thema Tod und Trauer in der Öffentlichkeit konfrontiert, weniger aber mit dem Thema Tod und Trauer am Arbeitsplatz. Das wurde wenig oder gar nicht behandelt, bevor sich die Gewerkschaft vida und wir uns dem gewidmet haben.

vida-Magazin: Was tun, wenn Tod und Trauer am Arbeitsplatz eintreten?

Thomas Geldmacher: Es ist wichtig zu unterscheiden, ist eine Kollegin oder ein Kollege gestorben oder trauert ein Kollege, eine Kollegin um einen nahen Angehörigen. In beiden Fällen ist bis zu einem gewissen Grad Krisenmanagement notwendig. Wenn ein Kollege, eine Kollegin gestorben ist, sollte das Team so zeitnah wie möglich und idealerweise persönlich informiert werden. Denn da entsteht ein extrem großer Wissensdurst. Klar ist, dass nicht gleich „business as usual“ stattfinden kann. Doch relativ rasch sollte überlegt werden, wie man die Aufgaben in der Abteilung verteilt. Dann geht es um die Frage, wer nimmt mit der Familie des Verstorbenen Kontakt auf. Hier ist auch zu klären, was an Unterstützung seitens Betrieb gewünscht und möglich ist.

Daniela Musiol: Neben dem Organisatorischen ist es aber auch wichtig, Zeit und Raum zu schaffen, um darüber reden zu können. Wie geht es uns? Was löst es aus? Was brauchen wir? All diese Fragen sollten gemeinsam erörtert werden können, wenn gewünscht mit externer Unterstützung. Man kann auch die Arbeitsabläufe etwas lockern, damit die KollegInnen mehr Pausenzeiten bekommen, um über den Todesfall zu sprechen. Auch KollegInnen, die nach einem privaten Trauerfall wieder an den Arbeitsplatz zurückkommen, sollten angesprochen werden können.

vida-Magazin: Wie sollte man sich gegenüber trauernden KollegInnen verhalten?

Thomas Geldmacher: Man sollte eine trauernde Person ansprechen. Sie fragen, ob man etwas tun kann, ob sie etwas braucht, wie es ihr geht – auch in dem Wissen, dass es der Person schlecht geht. Oft erzählen Trauernde, das Zweitschlimmste in der Trauerzeit war, dass FreundInnen und Bekannte sich abgewendet haben, weil sie Angst hatten, sich mit der Trauer zu konfrontieren. Fast so, als ob Trauer ansteckend wäre. Das war praktisch der zweite Tod. Viele Trauernde wünschen sich ein bisschen Normalität im völlig abnormalen Alltag.

Daniela Musiol: Oft haben Menschen Sorge, dass sie etwas Falsches sagen, und deshalb sagen sie gar nichts. Man muss nicht fragen „Wie geht es dir?“ Zum Beispiel kann man sagen: „Ich frag dich gar nicht, wie es dir geht. Aber kann ich etwas tun?“ Oder „Ich weiß überhaupt nicht, was ich sagen soll, aber ich bin da für dich!“ Es ist aber auch wichtig, die Grenzen zu beachten, die ein Betrieb hat. Manchmal braucht es externe Beratung, wo man Dinge auslagern kann, damit es dort einen Platz hat. Oft übernehmen KollegInnen zu viel und geraten dann selbst in eine Überforderung. Es trauern auch nicht alle gleich. Vielleicht hatte man nicht viel mit dem Kollegen, der Kollegin zu tun, vielleicht kannte man ihn/sie gar nicht oder hatte sogar einen Konflikt. Es entsteht aber in Gruppen oft der Druck, „ich muss jetzt auch trauern“. Da muss man aufpassen, dass es unterschiedliche Formen von Trauer und Beziehungen gibt. Jeder und jede soll selbst entscheiden können, wie er/sie trauert.

vida-Magazin: Welche Rolle spielt der Betriebsrat?

Thomas Geldmacher: Es ist sehr sinnvoll, wenn Unternehmensleitung und Betriebsrat beim Thema Tod und Trauer zusammenarbeiten. Gemeinsam wird geschaut, dass es dem Team oder dem trauernden Kollegen, der trauernden Kollegin so einfach wie möglich gemacht wird. Der Betriebsrat kann extrem nützlich sein, die Teilnahme am Begräbnis zu organisieren, aber auch um zu schauen, wie es den KollegInnen geht und wie rasch die Position der verstorbene Person nachbesetzt werden muss.

Daniela Musiol: Wir halten gemeinsam mit der vida Seminare für BetriebsrätInnen ab. Hier ist unser Ziel, für das Thema zu sensibilisieren und Klarheit mitzugeben, was ich als Betriebsrat beitragen kann, damit es für alle einen guten Ausgang findet – so schlimm die Situation auch ist. Denn wir wissen auch, dass nicht gut gemanagte Trauersituationen etwas mit der Betriebskultur machen. Man hat vielleicht das Gefühl, „es ist eh wurscht, ob ich da bin oder nicht. Denn wie die eine Kollegin gestorben ist, ist einfach weitergearbeitet worden.“ Insofern ist es im Interesse aller, mit Tod und Trauer am Arbeitsplatz gut umzugehen.

vida-Magazin: Stichwort BR-Seminar, wie ist eure Zwischenbilanz?

Daniela Musiol: Es besteht hohes Interesse an den Seminaren. Es nehmen BetriebsrätInnen teil, die bereits Erfahrungen mit Trauerfällen im Betrieb haben, oder die private Schicksale hatten, die für das Thema sensibilisieren. Unser Eindruck ist, dass es keine Standards in den Betrieben gibt, wie mit Tod- und Trauerfällen umgegangen wird. Das war auch der Grund, warum wir mit der vida den Trauer-Ratgeber und die Muster-Betriebsvereinbarung erstellt haben.

Thomas Geldmacher: In den Betriebsratsseminaren ist die Idee aufgetaucht, so etwas wie eine Trauervertrauensperson zu installieren. Also eine Art Ansprechperson, die sich darum kümmert, dass im Betrieb ein entsprechendes Prozedere eingehalten wird, oder auch zu schauen, ob es das Bedürfnis gibt, etwas Karitatives ins Leben zu rufen, wie Fonds oder Unterstützungsmaßnahmen.

vida-Magazin: Stichwort „Trauerpolitik“, was fordert ihr gemeinsam mit der Gewerkschaft vida?

Daniela Musiol: Wir möchten den Begriff „Trauerpolitik“ positionieren, also Politik, die sich mit Trauer beschäftigt – Trauer weiter gefasst als Tod. Es gibt auch andere Krisensituationen im Leben, die Trauer hervorrufen. Trauer ist eine Reaktion auf den Verlust, zum Beispiel Verlust des Arbeitsplatzes, Trennung oder Scheidung. Es kann auch eine Behinderung sein, aufgrund derer man Tätigkeiten nicht mehr setzen kann. Hier brauchen wir gesetzliche Regelungen, die darauf Rücksicht nehmen.

Thomas Geldmacher: Ganz zentral ist für uns, so etwas wie eine Trauerfreistellung zu schaffen. Heute bekommt man zwar ein paar Tage frei, um Begräbnis und alles Weitere zu regeln. Alles was darüber hinaus geht, ist man entweder im Krankenstand oder auf Urlaub. Das ist aber nicht stimmig. Denn wenn man trauert, ist man weder krank, noch ist man auf Erholungsurlaub. Man versucht vielmehr, mit völlig veränderten Lebensumständen zurechtzukommen. Es sollte etwas Drittes geben, also eine Möglichkeit, um sich für den Trauerprozess eine Auszeit zu nehmen. Wenn man da einen Weg findet, dass zu verankern, würde das vielen helfen.

Daniela Musiol: Es ist natürlich schwieriger als bei der Elternkarenz, wo es einen klar definierten Zeitraum gibt, in dem Karenz möglich ist. Bei der Trauer gibt es Menschen, die am Anfang gar nicht arbeiten können, weil sie so mit der Trauerarbeit beschäftigt sind. Es gibt aber auch andere, die sagen „es hilft mir, aber ich bin nicht voll belastbar wie sonst!“ Und andere sagen „ich brauche drei Wochen Zeit und dann geht es wieder!“ Und bei anderen zieht die Realität erst nach einem Jahr knallhart ein. Wir brauchen also einen Grundrahmen, der anerkennt, dass Trauer ein Prozess ist, in dem man einfach nicht voll arbeitsfähig ist.

vida-Magazin: Es gibt Studien, die die wirtschaftlichen Folgen von Trauer am Arbeitsplatz berechnen. Wie sehen diese aus? 

Thomas Geldmacher: Eine Studie aus Amerika beziffert die Produktivitätsverluste durch Trauer mit 37 Milliarden Dollar jährlich. Eine deutsche Studie geht davon aus, dass Trauerfälle und andere psychische Belastungen am Arbeitsplatz in etwa 12 bis 14 Milliarden Euro jährlich kosten – auf Österreich runtergerechnet sind das 1 bis 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist eine beachtliche Summe. Interessanterweise treten die meisten Verluste nicht dadurch auf, dass die Betroffenen nicht arbeiten gehen, sondern dass sie zu früh wieder zu arbeiten beginnen. Das ist das Phänomen des Präsentismus. Sie sind zwar anwesend, aber eigentlich nicht arbeitsfähig, weil sie mit Trauerarbeit beschäftigt sind. Das heißt, diese Verluste könnte man mit entsprechenden Maßnahmen auf betrieblicher Ebene vermindern.

Die Statistik zeigt uns aber noch etwas: Im Jahr 2025 sind schätzungsweise 40 Prozent der ArbeitnehmerInnen zwischen 50 und 65 Jahre alt. Diese werden Trauerfälle im engsten Familienkreis zu bewältigen haben. Außerdem werden wir alle voraussichtlich länger arbeiten müssen. Da ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass viele sterben, während sie noch im Berufsleben stehen. Das Thema Tod und Trauer wird die Arbeitswelt also auch in Zukunft stark betreffen und beschäftigen.

Danke für das Gespräch.