vida
Adele Siegl, Fahrradbotin und Betriebsratsgründerin bei Mjam
Karls Delfs, Bundessekretär Fachbereich Straße in der Gewerkschaft vida
Oliver Klug, Unternehmenssprecher Lieferando
Adele Siegl, Fahrradbotin und Betriebsratsgründerin bei Mjam
Karls Delfs, Bundessekretär Fachbereich Straße in der Gewerkschaft vida
Oliver Klug, Unternehmenssprecher Lieferando

On the Ride Side

Plattformarbeit: So geht es den FahrradbotInnen in unserem Land.

In der Stadt sind sie nicht zu übersehen: die radelnden BotInnen von Lieferando, Mjam und Co. Die Arbeit ist hart – und zwischen den Anbietern gibt es große Unterschiede. Die Redaktion von >>> oegb.at hat sich umgehört. Im folgenden Beitrag zu Wort kommen Adele Siegl, Fahrradbotin und Betriebsratsgründerin bei Mjam, Karl Delfs, Bundesekretär des Fachbereichs Straße in der Gewerkschaft vida, und Oliver Klug, Unternehmenssprecher von Lieferando.

Weltweit erster KV für FahrradbotInnen

Sie strampeln sich für uns ab und sind aus dem Straßenbild nicht mehr wegzudenken: die FahrradbotInnen mit ihren großen grünen oder orangen Rucksäcken, die uns Essen liefern. Und nicht nur das – sie stellen auch Verträge, Dokumente oder Pakete zu. Jahrelang waren sie zu Hungerlöhnen unterwegs, seit Anfang 2020 gibt es auch für sie einen Kollektivvertrag. Die Auswirkungen waren für die Beschäftigten sofort zu spüren, so der Chefverhandler der Gewerkschaft vida, Karl Delfs: „Damit hatten die RadlerInnen plötzlich auch ein Weihnachts- und Urlaubgeld, vorher gab es in der Regel nur zwölf Gehälter.“

Aufmerksamkeit rund um den Globus 

Der Kollektivvertrag für FahrradbotInnen hat hohe Wellen geschlagen, erinnert sich Delfs: „Weltweit haben Zeitungen darüber berichtet und ich habe von Gewerkschaften aus ganz Europa Anrufe bekommen. Da ist uns wirklich was Großes gelungen.“

„Mit dem Kollektivvertrag für FahrradbotInnen ist uns etwas Großes gelungen. Die Betroffenen haben dadurch zum Beispiel 14 statt nur zwölf Gehälter bekommen.“

Karl Delfs, Bundesekretär des vida-Fachbereichs Straße

Das Team der Gewerkschaft vida arbeitet unermüdlich daran, den Kollektivvertrag weiter zu verbessern. Heuer steigen die Einkommen um 3,5 Prozent und es gibt einen 50-prozentigen Sonntagszuschlag, das heißt: acht Stunden fahren, zwölf Stunden werden verrechnet. Aktuell liegt der Einstiegslohn bei 1.600 Euro brutto. Wer das eigene Fahrrad und Handy verwendet, kommt im Monat mit Zulagen auf rund 2.000 Euro brutto.
 

Lieferando als Pionier 

Schon vor Einführung des Kollektivvertrags stellte der Lieferservice Lieferando seine BotInnen von Beginn an regulär an. „Das liegt an der Grundhaltung unserer Gründer”, sagt Unternehmenssprecher Oliver Klug. Auch heute sind alle Beschäftigten fest angestellt, erklärt er: „Wir halten das für den richtigen Weg im Einklang mit geltenden Gesetzen.”

Job, der Respekt abverlangt

Die Verbesserungen im Kollektivertrag haben sich die Rider, wie sich die FahrradbotInnen selbst nennen, hart verdient. Das weiß Adele Siegl, Fahrradbotin und Gründerin des ersten Betriebsrats beim Essenzulieferer Mjam.

„Noch mehr Kraft als wöchentlich 400 Kilometer in den Beinen und 400 Kilogramm auf dem Rücken verlangt die Konzentration im Straßenverkehr.“

Adele Siegl, Betriebsratsgründerin bei Mjam

„Wir fahren jede Woche rund 400 Kilometer, und auf dem Rücken tragen wir über die Woche verteilt nochmal die gleiche Kiloanzahl”, erzählt die Betriebsrätin, die seit sechs Jahren in der Branche arbeitet. Mehr Kraft als die körperliche Herausforderung verlangt ihr aber noch die Konzentration im Straßenverkehr ab. „Du musst immer voll fokussiert sein. Da ist man schon fertig, wenn man nach der Schicht heimkommt”, sagt Siegl.

Unterwegs bei Wind und Wetter 

Das wissen auch viele Arbeitgeber. „Das Radfahren im österreichischen Winter und Straßenverkehr verdient höchsten Respekt”, sagt Lieferando-Sprecher Klug. Auch hier verweist er auf die Vorteile der Festanstellung: „Feste Stundenlöhne statt einer leistungsabhängigen Bezahlung pro Bestellung ermöglichen sichere Verdienste und vermeiden gefährliche Fahrweisen.” Neben der Ausstattung mit einem fast 20-teiligen Equipment inklusive Winterkleidung setzt das Unternehmen auf Sicherheitsunterweisungen samt regelmäßiger Auffrischungstests und Bike-Checks für jene MitarbeiterInnen, die das private Rad benutzen.

Mehr Sicherheitstrainings wünscht sich Fahrradbotin Siegl, vor allem, was konfliktfreien Straßenverkehr angeht. „Viele Menschen scheinen immer noch Rot zu sehen, wenn sie ein Fahrrad sehen”, erzählt sie aus ihrem Alltag.

Heterogene Szene

Als Betriebsrätin setzt sie sich deshalb für die Sicherheit ihrer KollegInnen ein. Gemeinsam mit anderen BetriebsrätInnen und engagierten FahrerInnen vernetzt sie sich im >>> Riders Collective, einem Kollektiv, das FahrerInnen zusammenbringen und stärken soll. Das ist eine Herausforderung in einer Szene, in der die meisten im Schnitt nur zwei Monate bleiben, selten am gleichen Ort sind und der Großteil nicht fest angestellt ist.

„In unserer Branche arbeiten viele junge Menschen. Zum Beispiel Studierende, die das als Nebeneinkunft sehen. Dann gibt es Menschen in prekären Situationen, die einen niederschwelligen Job brauchen, etwa MigrantInnen, die grade erst nach Österreich gekommen sind und sich etwas aufbauen wollen. Auf der anderen Seite arbeiten bei uns auch viele KünstlerInnen und Leute, die sich eine Selbstständigkeit aufbauen wollen und das regelmäßige Einkommen und die flexiblen Arbeitszeiten schätzen”, erklärt die Betriebsrätin.

„Auch wenn man nur als Nebenjob als FahrradbotIn unterwegs ist, sind die Höhe des Lohns und die Zuschläge wichtig.“

Karl Delfs, Gewerkschaft vida

Plattformen locken mit schnellem Geld

Dass nicht alle FahrradbotInnen dem Kollektivvertrag unterliegen und viele freie DienstnehmerInnen sind, führt für vida-Gewerkschafter Delfs zu Sozialdumping und setzt ordentliche Beschäftigungsverhältnisse unter Druck: „Freie DienstnehmerInnen kommen dann verstärkt zum Zug, wenn es etwa viele Zulagen in einem Kollektivvertrag gibt. Das kann es nicht sein“.

Das Argument, dass viele EssenszulieferInnen ihre Arbeit ohnehin nur als Nebenjob machen und „da bräuchte man nicht angestellt sein”, lässt Delfs nicht gelten: „Auch wenn man es als Nebenjob macht, sind die Höhe des Lohnes und die Zuschläge wichtig. Man kann Menschen auch für drei, vier Monate anstellen.“

Überzeugungsarbeit wirkt

Das sieht auch die Betriebsrätin bei Mjam so. Sie versucht in ihrem Arbeitsalltag immer wieder, die KollegInnen mit freien Dienstverträgen von den Vorteilen einer festen Anstellung zu überzeugen. Mit Erfolg - waren es bis vor kurzem noch an die 50 Angestellte bei Mjam, sind es mittlerweile rund 130. Die Tendenz steigt also, aber man bildet noch immer die Minderheit in einer Flotte von 2.000 FahrerInnen.

„FahrerInnen müssen verstehen, dass alle zusammenhalten müssen,
um Verbesserungen für alle zu erreichen.“

Adele Siegl, Betriebsratsgründerin bei Mjam

Den Grund dafür, dass sich viele nicht anstellen lassen wollen, sieht Siegl in der vermeintlichen Flexibilität. „Dabei übersehen die freien DienstnehmerInnen, dass ein fester Stundenlohn und eine Kilometerpauschale ihnen mehr bringen als der Lockruf von mehr Bezahlung bei mehr Auslieferungen.”

Viele von ihnen arbeiten oft mehr als 40 Stunden und verdienen bis zu 3.000 Euro im Monat, erzählt Siegl: „Das ist schnelles Geld. Aber wenn sie sich ein Bein brechen und wochenlang nicht arbeiten können, ist das Geld schneller weg als gedacht.” Ihr Wunsch: „Dass die FahrerInnen verstehen, dass alle zusammenhalten müssen, um Verbesserungen für alle zu erreichen.”

Um die Situation zu verbessern, kann sich Delfs durchaus auch den Weg vorstellen, den Spanien beschritten hat. Die Regierung hat sich mit Gewerkschaften und Berufsverbänden auf neue Gesetze geeinigt, damit LieferantInnen bei Essenslieferdiensten angestellt werden.

Vorteile für FahrerInnen und Unternehmen

Auf einheitliche Rahmenbedingungen pocht auch Lieferando-Sprecher Klug. Denn diese führten „nicht nur zu einheitlichen Standards für die Beschäftigten, sondern auch zu klaren, fairen Wettbewerbsbedingungen, unter denen Anbieter ihr Geschäft mit vergleichbaren Lohnkosten, Sozialleistungen und Arbeitsbedingungen betreiben". Denn die Kosten einer fixen Anstellung nach Kollektivvertrag mit übertariflichem Lohn, wie sie Lieferando für alle MitarbeiterInnen führt, sind weit höher als bei einem Modell freier DienstnehmerInnen. Dass Lieferando trotzdem an dem Modell festhält, liegt nicht nur an der Geisteshaltung des Unternehmens.

Fixanstellung als Win-Win-Situation 

Die feste Anstellung aller Beschäftigter ist für Lieferando Bestandteil eines nachhaltigen Geschäftsmodells, erklärt der Unternehmenssprecher. Obwohl das Unternehmen laut eigenen Auskünften durch die feste Anstellung mit der Auslieferung zwar keinen Gewinn macht, sondern sie aus Gewinnen anderer Geschäftsfelder bezuschusst, konnte Lieferando seine Flotte auf mehr als 2.000 Fahrerinnen und Fahrer verdoppeln.

Lieferando-Sprecher Klug räumt ein, dass freie DienstnehmerInnen für einen Betrieb billiger sind und mehr Flexibilität bringen. Auf der anderen Seite hat der Arbeitgeber bei ordentlichen Anstellungen auch klare Vorteile, die für die Geschäftsführung schwerer wiegen: „Faire und feste Löhne und die Sicherheit einer festen Anstellung tragen zur Bindung der MitarbeiterInnen bei”, weiß Klug: „Natürlich profitieren auch wir als Betrieb davon: Unsere fahrenden KollegInnen bleiben uns länger treu, Restaurants und KonsumentInnen profitieren von ihrer Erfahrung, und zugleich reduzieren wir den Aufwand unseres Recruitings.” Die Zahlen geben dem Lieferdienst recht: Die Liefer-Plattform schuf im Zuge der erhöhten Nachfrage in der Pandemie über 1.000 Jobs in fixer Anstellung mit übertariflicher Bezahlung, während andere europäische Anbieter sich vom Markt zurückziehen.

„Von fairen Löhnen und festen Anstellungen profitieren auch wir als Betrieb. Unsere KollegInnen bleiben uns länger treu, Restaurants und KonsumentInnen profitieren von ihrer Erfahrung.“

Oliver Klug, Pressesprecher von Lieferando in Österreich
 

Das Ziel: faire Verhältnisse für Beschäftigte und Unternehmen

„Das Ziel muss immer sein, ordentliche Verhältnisse für die Beschäftigten zu erreichen“, betont Gewerkschafter Delfs. Dass manche Lieferservices davon sprechen, dass man es sich nicht leisten könnte, alle FahrradbotInnen anzustellen, stößt bei ihm auf völliges Unverständnis: „Gerade angesichts explodierender Umsätze müssen auch die Beschäftigten vom Erfolg etwas haben. Und wenn es ein Produkt nicht schafft, ArbeitnehmerInnen anständig zu ernähren, dann hat es auch am Markt nichts verloren!“

„Gerade angesichts explodierender Umsätze bei den Lieferdiensten müssen auch die Beschäftigten vom Erfolg etwas haben.“

Karl Delfs, Bundesekretär des vida-Fachbereichs Straße

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