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Wo liegt der Hebel zur Erhöhung des Frauenanteils im Eisenbahnsektor?

AK, vida, ETF und ÖBB diskutierten bei Veranstaltung „Bahn frei für Frauen?“ Maßnahmen, um Frauen stärker für Eisenbahnberufe zu begeistern

Mit den Europäischen Sozialpartnerverhandlungen von Gewerkschaften und Bahnen über eine verbindliche Vereinbarung zur Erhöhung des Frauenanteils im europäischen Eisenbahnsektor setzten sich heute AK, ÖBB, die Gewerkschaft vida sowie die Europäische Transportarbeiter-Föderation (ETF) bei der Online-Veranstaltung „Bahn frei für Frauen?“ auseinander. Die Palette an vorgeschlagenen bzw. schon laufenden Maßnahmen reichte dabei von Gewerkschaftsforderungen nach konkreten und verpflichtenden Gleichbehandlungsmaßnahmen über eine frauengerechtere Gestaltung der Bahnarbeitsplätze bis hin zur Verankerung von strategischen Personalzielen mittels Diversity Charta wie bei den ÖBB. Claudia Kürzl, die für die ÖBB seit Monaten mitverhandelt, sieht in der verbindlichen Vereinbarung „eine historische Chance für den europäischen Bahnsektor, um nicht nur für die Frauen, sondern insgesamt attraktiver und wettbewerbsfähiger zu werden.“ 

Ausgangslage der Veranstaltung: Die Eisenbahnen beschäftigt in der EU mehr als 1,5 Million Menschen. Der Frauenanteil in Europas Bahnen ist aber dramatisch gering, im Schnitt liegt die Frauenquote bei nur 21 Prozent. Dieser Anteil liegt klar unter der Erwerbstätigenquote von Frauen in der Europäischen Union, die für das Jahr 2020 laut Eurostat 66,8 Prozent beträgt.

Der Schweizer Gewerkschafter Giorgio Tuti, Vorsitzender der ETF-Eisenbahnsektion, gab bei der Veranstaltung zu bedenken, „Wenn sich das Tempo der Erhöhung des Frauenanteils in den Unternehmen in dieser Weise in Europa fortsetzt, nämlich um maximal 1,1 Prozent pro Jahr, wird es noch Jahrzehnte dauern, bis Frauen adäquat im System Eisenbahn vertreten sind. Es führt uns dramatisch vor Augen, wie wichtig eine verbindliche Sozialpartnervereinbarung ist, in der sich Bahnen zu konkreten Maßnahmen im Sinne der Gleichbehandlung verpflichten. Ob die Bahnen dazu auch tatsächlich bereit sind, wird sich beim Abschluss der Verhandlungen zeigen.“

Laut Women in Rail-Report 2019 hat Schwedens Bahn mit rund 40 Prozent den höchsten Frauenanteil in Europa, gefolgt von Litauen mit 37,2 Prozent und der Slowakei mit 35,8 Prozent. Zum Vergleich: Die ÖBB konnten ihren Frauenanteil von 12,8 (2018) auf aktuell 13,5 Prozent erhöhen. Beim Frauenanteil im Top-Management sind die ÖBB mit über 27 Prozent im Vergleich zum Gesamtfrauenanteil gut aufgestellt – in den Aufsichtsratsgremien sind die Frauen zu einem Drittel vertreten. In den technischen und betrieblichen Konzern-Bereichen sind hingegen sehr wenig Frauen beschäftigt: Im Betriebsdienst sind rund 3 Prozent Lokführerinnen und 15 Prozent Zugbegleiterinnen tätig.

Mit der Diversity Charta 2023 haben die ÖBB strategische Personalziele festgelegt, die auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen und die Anhebung des Gesamtfrauenanteils im Konzern auf über 16 Prozent bis 2023 ermöglichen sollen. Sandra Gott-Karlbauer, Geschäftsführerin der ÖBB Technische Services GmbH, erklärte dazu, „Die Förderung von Frauen liegt den ÖBB sehr am Herzen. Traditionelle Rollenbilder sollen aufgebrochen werden, um der Diversität in einem stark männlich dominierten Unternehmen mehr Raum zu geben. Wir sind seit Jahren auf einem guten Weg, aber noch nicht dort angelangt, wo wir hinmöchten. Die ÖBB sind ein Unternehmen mit langer Geschichte und Tradition, das sich nicht über Nacht schnell wandeln kann. In den letzten Jahren sind uns aber schon einige grundlegende Punkte gelungen, wie die Steigerung des Frauenanteils von über 20 Prozent in der Lehrlingsausbildung oder die Verankerung der Vielfalt in unsere Unternehmenskultur“.

Olivia Janisch, Frauenvorsitzende der Gewerkschaft vida, nahm Bezug auf die EU-Frauenerwerbsquote: „Die Bahnen können es sich schlichtweg nicht mehr leisten, für die rund zwei Drittel an erwerbstätigen Frauen keine passenden Arbeitsplätze anzubieten.“ Bahnjobs sind gut bezahlte und sichere Arbeitsplätze, die so gestaltet werden müssen, dass sie auch für Frauen attraktiver und zugänglicher werden. „Dazu brauchen wir beispielsweise weitere Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Es ist eine Frage der Chancengleichheit, damit Frauen nicht nur hauptsächlich in Bürojobs, sondern auch verstärkt im Betriebsdienst arbeiten wollen. Frauen und ihre Jobs müssen gezielt aufgebaut, gefördert und auch im Unternehmen gehalten werden“, fordert Janisch.

Für genau diese Umsetzung verfolgen die ÖBB bereits seit Jahren eine nachhaltige Personalstrategie – als einer der wenigen Konzerne in Österreich! Zur Frauenförderung wurde 2011 die Gleichstellungspolicy ins Leben gerufen, für die Traude Kogoj als Diversity-Beauftragte verantwortlich ist. Seither konnte der Gesamtfrauenanteil im ÖBB-Konzern nahezu verdoppelt werden. Doch nicht nur im Top-Management oder bei den Expertinnen bringen gut ausgebildete Frauen den Konzern im Bereich Digitalisierung, bei der Erreichung der Klimaziele oder bei den Finanzen maßgeblich nach vorne. Auch oder speziell im betrieblichen Bereich halten hunderte Kolleginnen die Bahn bestens am Laufen – als Fahrdienstleiterin, im Vertrieb, als Logistikerin.

Die wichtigsten Stellhebel dabei sind laut Traude Kogoj der Purpose. „Das Warum passt bei der Bahn wie in kaum einem anderen Unternehmen. Denn wir bieten leistbare Mobilität für alle und diese so klimafreundlich wie kein anderes Verkehrsmittel“, so die Diversitybeauftragte des ÖBB-Konzerns. Und eines ist unumstritten: Die Unternehmenskultur und das Miteinander verbessern sich mit Frauen, das freut auch die Männer. Entsprechend haben neue HR-Prozessen und manche Standorte definitiv Potenzial zur Optimierung. „Mit dem Agreement erwarte ich mir speziell hierzu einen unmissverständlichen Auftrag an die Bahnen! Denn die Arbeitsplätze müssen nicht nur dem modernen Stand der Technik, sondern auch den aktuell sozialen Bedürfnissen von Frauen wie Männern entsprechen“, so Kogoj.

ÖBB-Triebfahrzeugführerin Waltraud Paulin stellte bei der Veranstaltung klar: „Lokführerin ist mein Traumberuf. Allerdings ist bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes noch Luft nach oben. Beispielsweise gibt es aufgrund der Örtlichkeiten noch nicht überall geschlechtlich getrennte Toiletten oder betriebliche Kinderbetreuungsmöglichkeiten auf oder nahe den Dienststellen.“ Paulin schlägt auch vor, die Frauen noch stärker anzusprechen. „Viele wissen gar nicht, dass man sich auch aus anderen Berufen zu den ÖBB umschulen lassen kann. Das ist schade, denn die ÖBB sind ein guter Arbeitgeber, bei dem im ausführenden Betriebsdienst die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern bei der Bezahlung – insbesondere auch durch kollektivvertragliche Regelungen – umgesetzt ist“, sagt Paulin.

„Das europäische Jahr der Schiene ist der richtige Zeitpunkt, um auf die wichtige Rolle der Eisenbahnen als Rückgrat des Öffentlichen Verkehrs und als klimafreundliche Alternative im Güterverkehr sowie als Arbeitgeber mit zukunftsfähigen Arbeitsplätzen mit fairen Arbeitsbedingungen hinzuweisen. Die gemeinsame Veranstaltungsserie von vida und AK beschäftigt sich daher mit den brennenden Themen aus ArbeitnehmerInnensicht, wie der notwendigen Förderung von Frauen im Bahnbereich“, betonte Sylvia Leodolter, Leiterin der Abteilung Umwelt und Verkehr der AK Wien.

Quellen:
https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/tesem010/default/table?lang=de

https://www.etf-europe.org/resource/women-in-rail-6th-annual-report/