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Mangelberufsliste: vida-Hebenstreit fordert faire Jobangebote für 16 Millionen EU-Arbeitslose

Gewerkschaft wirft Schramböck und ÖVP in Offenem Brief absichtliche Lohndrückerei vor: „Wirtschaft will Parteispenden jetzt zurückverdienen“

Anlässlich ihres Interviews im heutigen „Standard“ zur Erweiterung der Mangelberufsliste entgegnet vida-Vorsitzender Roman Hebenstreit Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck in einem Offenen Brief. Hebenstreit wirft Schramböck, der ÖVP und der Wirtschaft vor, durch die Erweiterung der Mangelberufsliste für drittstaatenangehörige Arbeitskräfte lediglich die Löhne in gewissen nachgefragten Jobbranchen drücken zu wollen. Die Wirtschaft wolle nun offenbar durch Lohndrückerei die Spendengelder an die ÖVP wieder ‚zurückverdienen‘, kritisiert der Gewerkschafter. Hebenstreit fordert die Regierung auf, zuerst den 16 Millionen Arbeitslosen in der EU, darunter 400.000 in Österreich, eine Chance auf faire Jobs, von denen man gut leben kann, zu geben. Nachfolgend der Offene Brief im Wortlaut:  


„Sehr geehrte Frau Bundesministerin Schramböck,

mit großer Verwunderung habe ich Ihr heutiges Interview im ‚Standard‘ gelesen. Darin sind Sie u. a. der Ansicht, dass neue und zusätzliche Arbeitskräfte für Massenberufe ins Land zu holen, keinen Druck auf die Höhe der Löhne ausüben würden.

Im Interview sagen Sie dazu wörtlich, „Es geht nicht darum, Gehälter zu drücken. Für die Beschäftigten aus Drittstaaten ist ja auch die Bezahlung nach Kollektivvertrag verpflichtend. Darum finde ich, dass das Argument an den Haaren herbeigezogen ist.“

Nach Einsicht in ihren Lebenslauf darf man Ihnen durchaus unterstellen, dass Ihnen die Grundzüge der Marktwirtschaft geläufig sind. Daher erlaube ich mir, Ihnen zu unterstellen, zwei Dinge zu wissen:

  1. Erhöhe ich das Angebot an Arbeitskräften, dann drücke ich den Preis
  2. Kollektivvertragslöhne sind Mindestlöhne

Nachdem Sie diese beiden Dinge wissen, kann man ihre politischen Ziele den Arbeitsmarkt betreffend folgendermaßen zusammenfassen: Sie wollen sowohl die österreichischen als auch jene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die noch gar nicht auf unserem Arbeitsmarkt angekommen sind, auf die Höhe der Mindestlöhne drücken. Somit darf man Sie getrost als Feindin der Beschäftigten in Österreich bezeichnen.

Was hat es mit den so genannten Mangelberufen eigentlich auf sich? Es gibt Berufe, für die das Bildungssystem der gesamten Europäischen Union nicht ausreichend Arbeitskräfte hervorbringt. Dieser Meinung schließt sich auch die Gewerkschaft an. Dazu zählen aber weder Personal für die Gastronomie, noch Lokführer oder Maurer und viele andere Berufe. In diesen boomenden und wachsenden Branchen würde die Wirtschaft nur zu gerne abseits sozialpartnerschaftlicher Verhandlungen die Lohn- und Arbeitsbedingungen diktieren.

Gegen den von Ihnen im Interview erwähnten IT-Experten aus Brasilien hat ja niemand etwas einzuwenden. Denn Schlüsselarbeitskräfte ab 7.000 Euro brutto im Monat auf Basis von 35 Wochenstunden kann man aus jedem Land der Welt rekrutieren. Aber das wollen Sie ja eigentlich gar nicht. Es geht Ihnen nicht um derartige Spezialkräfte, sondern schlichtweg um Lohndrückerei in den oben erwähnten und am Arbeitsmarkt schwer nachgefragten Berufen.  

Im Jahr 2019 waren in der EU sage und schreibe knapp 16 Millionen Menschen arbeitslos. Diese arbeitslosen Menschen sind Ihnen offensichtlich völlig egal. Sonst würden Sie zuerst diesen 16 Millionen Europäerinnen und Europäern, darunter 400.000 Arbeitslose in Österreich, durch aktive Arbeitsmarktpolitik eine Chance geben. Daher gibt es für mich nur einen einzigen empörenden Schluss: Sie und die ÖVP wollen für ihre Spender aus der Wirtschaft den Preis der Arbeit verbilligen. Dass dadurch die Menschen, die von ihrer Arbeit und ihrem Einkommen leben müssen, auf der Strecke bleiben, lässt Sie komplett kalt.

Weder für die 16 Millionen Arbeitslosen in der EU noch für die 400.000 Arbeitslosen in Österreich gebe es bürokratische Hürden am Arbeitsmarkt. Es müssten nur faire Jobs, von denen man gut leben kann, angeboten werden. Angebot, welche die Wirtschaft offenbar nicht zu legen bereit ist. Wozu hätte man dann auch in den letzten Jahren derart üppige Spendengelder in die ÖVP gepumpt, wenn man diese Summen jetzt nicht über den Umweg der Lohndrückerei ‚zurückverdienen‘ könnte?

Die Lohnentwicklung in Österreich kann seit Jahren nicht mit dem Anstieg der Produktivität mithalten. Nicht zuletzt deshalb, weil es durch die EU-Erweiterungen zu mehreren schockartigen Angebotsschüben bei Arbeitskräften kam. Diese schlechte Lohnentwicklung in Österreich und anderen westlichen EU-Ländern ist auch einer der Gründe dafür, dass wir die von der EZB gewünschte Inflationsentwicklung in Höhe von rund 2 Prozent nicht einmal durch Null- bzw. Negativzinspolitik erreichen.

Aber nachdem ihre Partei, die ÖVP, Menschen, die sich die Miete nicht mehr leisten können, empfiehlt, dann sollen sie sich halt eine Wohnung kaufen, darf einem eigentlich gar nichts mehr wundern.

Mit freundlichen Grüßen

Roman Hebenstreit
Vorsitzender Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft vida“