AK und vida kritisieren Vorstoß der EU-Kommission zur Eisenbahnliberalisierung scharf
In einer gemeinsamen Pressekonferenz haben Olivia Janisch von der Gewerkschaft vida und Lukas Oberndorfer von der Arbeiterkammer Wien mit dem Rechtsexperten Prof. Konrad Lachmayer entschiedene Kritik an einem Vorstoß der Europäischen Kommission zur völligen Liberalisierung des Eisenbahnsektors geäußert.
Gutachten zeigt gravierende Probleme
Die im Juni 2023 veröffentlichten Leitlinien, also rechtliche Erläuterungen, der Kommission zur Vergabe von Personenverkehrsleistungen auf der Schiene sorgen seitdem für Kritik. Die Leitlinien stellen die in Österreich und den meisten EU-Ländern sowie in der Schweiz übliche und bewährte Direktvergabe durch Bund oder Länder an Eisenbahnunternehmen in Frage. Ein heute präsentiertes Rechtsgutachten von Prof. Derosier und Prof. Lachmayer (Universitätsprofessor für öffentliches Recht und Europarecht) zu den Leitlinien der EU-Kommission zeigt gravierende rechtsstaatliche Probleme und den Versuch auf, demokratisch gefasste Entscheidungen im Europäischen Parlament auszuhebeln, auf.
“Dieser Ansatz der Kommission steht im Widerspruch zur Verordnung, die nach wie vor die Direktvergabe vorsieht", betont Prof. Konrad Lachmayer, Mit-Verfasser des Rechtsgutachtens.
Für AK und vida ist der erfolgreiche öffentliche Schienenverkehr zentraler Baustein für Qualität und Sicherheit der österreichischen Bahnen. Dies gilt für Beschäftigte gleichermaßen wie für Fahrgäste und Unternehmen. Darüber hinaus sind die Bahnen ein wichtiger Teil der Lösung der Klimakrise. Die Leitlinien der Kommission stehen all dem entgegen und können laut Rechtsgutachten von den EU-Mitgliedstaaten ignoriert werden, da sie rechtlich nicht verbindlich sind.
“Unsere Bahnen - Zukunft auf Schiene”
Als einen positiven Gegenentwurf zum Liberalisierungsdogma der EU-Kommission haben AK und vida die Kampagne “Unsere Bahnen - Zukunft auf Schiene” ins Leben gerufen, die sich für starke öffentliche Eisenbahnen zum Wohl von Beschäftigten, Fahrgästen und Klimaschutz einsetzt.
„In Europa werden aus gutem Grund über 70 Prozent der Schienenpersonenkilometer über Direktvergabe organisiert und finanziert. Erfolgreiche und sichere Bahnen am Altar der Liberalisierungsreligion zu opfern, würde den öffentlichen Personenverkehr gefährden und hätte auch gravierende negative Auswirkungen auf die Beschäftigten und Arbeitsbedingungen bei den Bahnen.“
Olivia Janisch, stv. vida-Vorsitzende
Die Erfahrungen aus Ländern wie dem Vereinigten Königreich, Griechenland oder Deutschland zeigen, dass die Liberalisierung des Eisenbahnsektors aufs Abstellgleis führt. Die Bahnen werden nicht effizienter. Vielmehr führt Liberalisierung zu einem schlechteren Angebot, höheren Ticketpreisen für die Fahrgäste sowie zu Lohn- und Sozialdumping für Beschäftigte. Darüber hinaus blieb oftmals die Sicherheit zu Gunsten von Gewinnoptimierungen auf der Strecke. Insgesamt zeigen die Erfahrungen mit liberalisierten Eisenbahnen auch gesamtwirtschaftliche und ökologische Abwärtstrends.
Mehr Markt bedeutet weniger Verlässlichkeit
Unser Bahnsystem funktioniert, meint Lukas Oberndorfer, Leiter der Abteilung für Umwelt und Verkehr der AK Wien: „Niemand in der EU fährt so viel Bahn, wie die Menschen in Österreich. Das macht deutlich, wie wichtig unsere Bahnen nicht zuletzt beim Pendeln für die Mitglieder der AK sind. Ein Blick über die Grenze zur Deutschen Bahn zeigt die Folgen von Liberalisierung: Mehr Markt bedeutet weniger Verlässlichkeit und Planbarkeit. Das können wir uns angesichts der Klimakrise nicht leisten: In Österreichs Klimabilanz, in der allerdings der Flugverkehr weitgehend ausgeklammert wird, gehen 99 Prozent der verkehrsbedingten Treibhausgas-Emissionen auf den Straßenverkehr zurück. Die Direktvergabe hilft hier rasch, neue und dichtere Zugverbindungen zu schaffen. Ausschreibungen hingegen dauern lange und verzögern die dringend notwendige Mobilitätswende.“
Hintergrund PSO-Verordnung
Guter und niedrigschwelliger öffentlicher Verkehr ist nicht kostendeckend, sondern wird über öffentliche Gelder mitfinanziert. Die sogenannte PSO-Verordnung (Public Service Obligation, Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 bzw. 2016/2338 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße des Europäischen Parlaments und des Rates) regelt die Organisation, Vergabe und Finanzierung von gemeinwirtschaftlichen Verkehren in der EU. Diese Verordnung sieht im Eisenbahnpersonenverkehr die Wahlmöglichkeit zwischen Direktvergabe und wettbewerblicher Ausschreibung vor.
Mehr zur Kampagne “Unsere Bahnen - Zukunft auf Schiene” finden Sie hier:
www.unsere-bahnen.at
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