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"Tourismuskasse ist der Weg aus der Krise!"

vida-Vorsitzender Roman Hebenstreit im Interview.
Die Corona-Krise hat vor allem die Tourismusbetriebe hierzulande fest im Griff. Viele wurden in existenzbedrohende Situationen gebracht, auf Seite der ArbeitnehmerInnen genauso wie auf Seiten der Arbeitgeber. Die Corona-Kurzarbeit konnte vielen Tausenden zwar vorerst den Job retten, zuletzt war allerdings vermehrt die Rede davon, dass den Betrieben der sich sammelnde Urlaub der KollegInnen in Kurzarbeit immer mehr zum Verhängnis wird. Die Gewerkschaft vida hat daher gemeinsam mit ExpertInnen der Branche das Konzept der sogenannten Tourismuskasse entwickelt.

vida-Redaktion: Warum haben es Beschäftigte im Tourismus und die ganze Branche generell derzeit so schwer?

Roman Hebenstreit: „Die Corona-Krise stellt Tourismusbetriebe vor finanziell kaum lösbare Herausforderungen. Im März 2021 werden es 12 Monate, in denen sich die Branche im Pandemiemodus befinden wird. 12 Monate, die von Unsicherheit und einem starken Umsatzrückgang geprägt sein werden. Die Arbeitsverhältnisse im Tourismus sind ähnlich wie in der Baubranche von einer starken saisonalen Ausprägung betroffen. Beschäftigte und Arbeitgeber im Tourismus haben gleichermaßen mit starken saisonalen Schwankungen und instabilen Beschäftigungsverhältnissen zu kämpfen. Die Corona-Krise hat dafür gesorgt, dass die Phase, wo nicht gearbeitet werden kann, noch länger dauert. Aber da kann gegengesteuert werden.“

vida-Redaktion: Und die Tourismuskasse soll hier Abhilfe schaffen?

Roman Hebenstreit: „Richtig, wir stellen uns die Tourismuskasse in Form einer Urlaubskasse nach dem erfolgreichen Vorbild der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) in der Baubranche vor. Die Regelungen sollen sich möglichst eng an die Bestimmungen des Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetzes (BUAG) anlehnen. Von Seiten der BUAK gibt es bereits Bereitschaft, bei der Umsetzung zu helfen“

vida-Redaktion: Wie schaut das im Detail aus?

Roman Hebenstreit: „In einer ersten Phase ist die Abwicklung von Urlaubsansprüchen und Feiertagen (“Guttage”) angedacht. Nachdem das für die Betriebe derzeit die größte Herausforderung ist und sie vor finanzielle Probleme stellt, soll es hier eine Stützung durch die öffentliche Hand geben. Mittel- und langfristig bietet eine Kasse eine Vielzahl an Möglichkeiten. Als zusätzliche betriebliche Unterstützung müssten die monatlich anfallenden Urlaubsansprüche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über einen Zeitraum von zwei Jahren als Startkapital durch die öffentliche Hand übernommen werden. Dies würde die Betriebe finanziell wie bereits erwähnt entlasten und ein Wiedereinstellen von ausreichend ArbeitnehmerInnen im ausreichenden Ausmaß erleichtern, was somit die Situation am Arbeitsmarkt entlasten sollte. Erst im zweiten und dritten Jahr nach Einführung der Tourismuskasse müssten sich die Betriebe jeweils mit der Hälfte der anfallenden monatlichen Urlaubskosten selbst beteiligen. Erst ab dem vierten Jahr des Bestehens der Kasse sind dann alle Kosten so wie in der Bauwirtschaft direkt durch die Betriebe selbst zu tragen. Aus heutiger Sicht gehen alle Experten davon aus, dass die Corona-Krise für den Sektor Tourismus bis dahin überwunden sein sollte und die Entwicklung wieder positiv ist. Insofern wäre das eine treffsichere Unterstützung für die Unternehmen.“

vida-Redaktion: Lassen sich mit der Kasse auch die Feiertagszuschläge besser regeln?

Roman Hebenstreit: „Neben dem Urlaubsanspruch könnte nach gleicher Weise und in gedanklicher Nachbildung der Winterfeiertagsregelung für die ArbeitnehmerInnen im Tourismus eine überbetriebliche Regelung der Feiertage geschaffen werden. Die Belastung der Betriebe mit Feiertagskosten könnte so gleichmäßig auf die Arbeitstage verteilt werden, und für die Kolleginnen die Möglichkeit eröffnet werden, die Freizeitansprüche aus Feiertagen zu erhalten, wenn dies während des laufenden Arbeitsverhältnisses nicht möglich war.“

vida-Redaktion: Welche Vorteile bringt die Kasse für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bzw. für die Unternehmen sonst noch?

Roman Hebenstreit: „Die Branche kämpft seit Jahren mit der Attraktivität. Diese könnte man mit der Kasse erhöhen. Mittel- und langfristig eröffnet sich für eine Tourismuskasse eine ganze Reihe von Betätigungsfeldern, in denen Verbesserungen für ArbeitnehmerInnen und Betriebe denkbar sind: Ausbildung, Qualifizierungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten, Jahresbeschäftigung, Jahresarbeitszeitmodelle, Arbeitszeit, Arbeitszeitaufzeichnungen, Schlechtwetterregelung für ausgewählte Bereiche sowie die Entgeltfortzahlung für Betriebe bei Krankenständen, die mehr als drei Tage dauern. Das alles sind Dinge, die angegangen werden müssen. Darüber hinaus können etwa Urlaubsansprüche unabhängig vom Arbeitgeber abgesichert werden und so zum Beispiel in einen neuen Betrieb mitgenommen werden. Eine überbetriebliche Einrichtung sorgt außerdem für Transparenz – die Information über Ansprüche und wichtige Daten kann so erfragt werden. Mit der Kasse heben wir die Sozialstandards in der Branche auf ein höheres Niveau.“

vida-Redaktion: Wie sehen die Vorteile für ArbeitgeberInnen aus?

Roman Hebenstreit: „Die Arbeitsstunde wird mit bestimmten, kalkulierbaren und vorhersehbaren monatlichen Kosten belastet. Es fallen keine zusätzlichen Belastungen darüber hinaus an. Außerdem sind keine permanenten Rückstellungen für zum Beispiel Urlaubstage in den Büchern mehr notwendig und der administrative Aufwand von Berechnungen und Abrechnungen würden wegfallen. Die Beiträge für Urlaubsansprüche können unabhängig gestaltet werden. Außerdem würden faire Wettbewerbsbedingungen für Betriebe geschaffen, was einem Austragen des Wettbewerbs über niedrige Sozialstandards endlich ein Ende setzt.“

vida-Redaktion: Das heißt, es führt eigentlich kein Weg an einer Tourismuskasse vorbei….

Roman Hebenstreit: „Aus unserer Sicht nicht! Wir beobachten die krisenbedingten Entwicklungen im Tourismus sehr intensiv und haben daher das zukunftsweisende Modell einer Tourismuskasse entwickelt, das als Rettungsanker und Branchenturbo für die Betriebe und Beschäftigten dienen soll. Es ist jetzt der richtige Zeitpunkt, über die Einführung einer solchen Tourismuskasse Gespräche zu führen, um mit einer Umsetzung Zehntausende Arbeitsplätze und Tausende Betriebe nachhaltig abzusichern. Wir als Gewerkschaft vida laden zu Gesprächen ein.“
 

>>>INFOBOX: Urlaubsrückstellungen 

Urlaubsrückstellungen dienen dazu, nicht konsumierte Urlaubstage zu vermerken. Das bietet dem ArbeitnehmerInnen die Möglichkeit, diese Urlaubstage im nächsten Geschäftsjahr zu konsumieren oder einen Anspruch auf deren Auszahlung geltend zu machen.

 

>>>INFOBOX: Winterfeiertagsregelung BUAK 

Durch die Unterbrechung während des Winters kommen Bauarbeiter oft nicht in den Genuss der während des Winters anfallenden Feiertage. Um diesen Nachteil auszugleichen, wurde in Bauindustrie und Baugewerbe eine Regelung eingeführt, die Arbeitgeber zur Bezahlung eines Zuschlages für diese Feiertage während der Sommermonate verpflichtet.

 

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