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Flüchtlingssituation

"Es ist nicht unanständig, anständig zu sein".

Mit mahnenden Worten hat Helmut Gruber, Vorsitzender der vida Wien, die hochkarätig besetzte vida-Fachtagung mit dem Titel „Flüchtlingssituation“ am 18. Februar eröffnet: „Wir wissen, dass wir uns derzeit in einer Ausnahmesituation befinden! Wir wissen, dass viele Beschäftigte und BetriebsrätInnen angesichts der hohen Flüchtlingszahlen Ängste und Sorgen haben. Aber wir müssen und wollen den Schutzsuchenden helfen. Wir haben den Auftrag ihnen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Wir als ArbeitnehmerInnen und GewerkschafterInnen wollen mitarbeiten und Teil der Lösung sein. Wir müssen an einem Strang ziehen. Leider werden in den Medien immer noch viele schlechte und falsche Infos verbreitet. Wir dürfen diesen Unwahrheiten kein Gehör schenken. Wir dürfen nie vergessen, dass die Schutzsuchenden Kriegsflüchtlinge sind. Sie laufen um ihr Leben. Es ist wichtig zusammenzustehen und Solidarität zu beweisen!“

Wir wollen keine Obdachlosigkeit

Rund 140 BetriebsrätInnen und vida-FunktionärInnen haben sich in der ÖGB-Zentrale eingefunden, um die aktuelle Flüchtlingssituation zu erörtern aber auch, um zu hören, wie Sozialeinrichtungen oder auch die ÖBB mit dem Flüchtlingsansturm im Herbst 2015 umgegangen sind. Zu Beginn der Veranstaltung hat der Flüchtlingskoordinator der Stadt Wien, Peter Hacker, einen Überblick über die aktuelle Situation gegeben. So sind seit September 2015 rund 300.000 Menschen durch Wien gezogen. Derzeit sind weniger als 20.000 in der Grundversorgung, bekommen also unter anderem eine Unterkunft, sind krankenversichert und werden verpflegt. 44 Prozent der Asylsuchenden sind in privaten Unterkünften untergebracht, der Rest, 56 Prozent, in organisierten Quartieren. Vor allem die Unterbringung in privaten Wohnungen oder Häusern ist Hacker ein Anliegen, da die Menschen so „am besten kennenlernen, was für uns normal ist. Sie sollen das echte Leben bei uns kennenlernen.“ Oberstes Gebot ist, dass kein Flüchtling ohne Dach über dem Kopf ist. „Wir wollen keine Obdachlosigkeit – auch aus sicherheitspolitischen Gründen. Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben, haben meist auch nichts mehr zu verlieren.“

Integration vom ersten Tag an

 Derzeit werden in Österreich pro Tag rund 200 Asylanträge gestellt. Heftige Kritik übt Hacker am Kurs der Innenministerin und den neuen Grenzschließungen: „Wir haben uns damit selbst wieder eingesperrt und uns unserer Freiheit beraubt.“ Wenig glücklich ist der Flüchtlingskoordinator auch mit der Geschwindigkeit der Asylverfahren: „20 Prozent  der Asylwerber warten drei Jahre bis die Verfahren erledigt sind. Die zuständige Behörde ist heillos überfordert.“ Oberste Priorität hat für Hacker „Integration vom ersten Tag an“, wie er sagt. Dazu gehören Deutschkurse und Wohnraumbeschaffung. Besonders wichtig ist dem Flüchtlingskoordinator, dass wir unsere Willkommenskultur nicht über Bord werfen. „Wir müssen wachsam bleiben. Wir dürfen unsere Grundprinzipien wie Solidarität nicht aufweichen lassen. Was wir aber derzeit erleben, geht in die andere Richtung. Eines ist für mich klar und ich werde es immer und immer wieder wiederholen: Ich lasse mir sicher nicht einreden, dass es unanständig ist, anständig zu sein.“

Auch der Staat muss vorbereitet sein

 Das Arbeitszeitgesetz konnte für die Beschäftigten des Arbeitersamariterbunds trotz der großen Zahl an zu versorgenden Flüchtlingen größtmöglich eingehalten werden,  stellte Oliver Löhlein, Geschäftsführer des Wiener Arbeitersamariterbunds, zur Frage nach den Belastungen für die Beschäftigten bei den Hilfsorganisationen fest. „Aber wenn mitten in der Nacht ein Anruf kam, es stehen noch einige Menschen am Bahnhof, die noch kein Quartier haben, dann mussten wir handeln.“ Glücklicherweise gibt es ehren- und hauptamtliche MitarbeiterInnen, die sich verpflichtet fühlen, zu helfen, ohne dabei auf die Uhr zu sehen. Deutliche Arbeitszeitüberschreitungen hat der Samariterbund dem Arbeitsinspektorat bekannt gegeben. Vom Betriebsrat hat es in der Notsituation im Herbst 2015 große Unterstützung gegeben, so Löhlein in seinem Diskussionsbeitrag.

Ja, wir sind vorbereitet

 Für den Bereich der Flüchtlingsbetreuung wurden vom Samariterbund 400 Beschäftigte zusätzlich eingestellt. Das war notwendig, da viele Haupt- und Ehrenamtliche auch wieder ihren familiären Verpflichtungen nachkommen wollten und mussten, erinnert sich Löhlein. Der Geschäftsführer sieht den Samariterbund für die Flüchtlingsbetreuung jetzt besser gerüstet als noch im letzten September. Löhlein hätte es nicht für möglich gehalten, dass der Staat Österreich beispielsweise nicht in der Lage ist, ausreichend Betten zur Verfügung zu stellen. „Wir wurden vom Staat im Regen stehen gelassen“, hätte er sich bei Infrastrukturangelegenheiten mehr Unterstützung etwa durch das Bundesheer erwartet. „Ja, wir sind vorbereitet. Aber der Staat muss sich auch vorbereiten und seine Hausaufgaben machen“, betonte der Geschäftsführer des Wiener Samariterbunds.    

Angstmacherei entgegenwirken

 Gabriele Graumann, Geschäftsführerin des Kuratoriums der Wiener Pensionistenwohnhäuser (KWP), erklärte, dass ihre Organisation Wohnraum für Schutzsuchende zur Verfügung stellt. Auch sie übte Kritik, dass Österreich, immerhin der zwölftreichste Staat in der Welt, seine Aufgaben hinsichtlich der Schaffung von Unterkünften für Flüchtlinge nur unzureichend wahrgenommen hat. Solidarität und Zusammenhalt müsse in Krisenzeiten funktionieren. Es darf nicht nur davon gesprochen werden, wenn sowieso alles läuft, plädierte Graumann. Sonst entsteht ein Klima des Neids und der Vorurteile. Angstmacherei muss mit Hinterfragen, mit Zahlen, Daten und Fakten entgegengewirkt werden.

Prinzip der Solidarität auf Integration umlegen

 Bei der Unterbringung von Flüchtlingen ist es ihr darum gegangen, das Prinzip der Solidarität auf die Integration umzulegen, so Graumann. Es kommt darauf an, alle Beteiligten inklusive der MitarbeiterInnen zu informieren.  Sorgen und Ängste aber auch Vorurteile müssen auf den Tisch gelegt werden. In der öffentlichen Diskussion um Schutzsuchende muss deshalb alles ehrlich angesprochen werden. Wichtig ist es Graumann, dass Flüchtlinge und Einheimische miteinander sprechen. Nach ein paar Wochen brechen auch Traumata auf. Neben Deutschkursen ist das sehr wichtig, damit die Integration ins Laufen kommt, betont die KWP-Geschäftsführerin. Graumann plädierte auch dafür, Sorgen bezüglich Sozialdumpings ernst zu nehmen. Es darf nicht zugelassen werden, dass sich die Menschen in der Flüchtlingsdiskussion auseinanderdividieren und instrumentalisieren lassen.

Mussten regelrecht bremsen

 Vor einem weitverbreiteten Problem im Zug der Hilfswelle beim Flüchtlingsansturm ist Otto Knapp, Geschäftsführer der Volkshilfe Wien, gestanden: „Wir hatten viele Freiwillige aber auch viele MitarbeiterInnen deren Bereitschaft wir regelrecht bremsen mussten. Sie hätten sich sonst selbst ausgebeutet. Hier haben wir eng mit unseren BetriebsrätInnen zusammengearbeitet. Auch sie haben ihren KollegInnen gesagt, dass sie aufpassen müssen und sich nicht überfordern dürfen.“ Im Zuge der Flüchtlingsbetreuung wurden bei der Volkshilfe sogar neue Arbeitsplätze geschaffen.

Viel improvisiert, aber alles hat funktioniert

Neue Jobs sind im Zuge der Flüchtlingskrise auch bei der Wiener Wohnen Haus- und Außenbetreuung GmbH entstanden. „Wir haben 50 neue MitarbeiterInnen“, berichtet Geschäftsführerin Elisabeth Miksch-Fuchs bei der Tagung. „Sie sind alle vollzeitbeschäftigt und haben die beste Ausbildung.“ Miksch-Fuchs lobte auch den vorbildlichen Einsatz ihrer MitarbeiterInnen: „Viele haben am Wochenende oder nachts zusätzlich Häuser oder Züge gereinigt. Vieles war improvisiert, aber es hat immer funktioniert. Nach einiger Zeit mussten wir ihnen aber auch ihre Grenzen aufzeigen, damit sie sich nicht überarbeiten und selbst fertig machen.“

 KollegInnen helfen KollegInnen

Davon hat bei der Tagung auch Harald Voitl, der bei den ÖBB für das betriebliche Gesundheitsmanagement zuständig ist, berichtet: „Die Situation im Herbst hat auf alle großen Druck ausgeübt – auf die Führungskräfte und auf die MitarbeiterInnen.“ Voitl übt auch etwas Selbstkritik: „Es hat leider sehr lange gedauert, bis wir auf unsere eigenen Leute geschaut haben. Die Betriebsräte haben uns darauf aufmerksam gemacht.“ Bei den ÖBB können sich die Beschäftigten auf ein gutes Hilfsnetz verlassen, so Voitl: „Wir haben Psychologen eingeschaltet und auch peer-to-peer Unterstützung angeboten. KollegInnen helfen also KollegInnen. ÖBB Chef Kern hat zudem Budget zur Verfügung gestellt, damit die Beschäftigen entsprechende Begleitung bekommen.“

Zum Abschluss der Fachtagung hat Helmut Gruber noch einmal den Beschäftigten in sämtlichen vida-Branchen, die sich sehr engagiert für Hilfesuchende eingesetzt haben, gedankt: „ Sie alle und viele tausende weitere freiwillige Helferinnen und Helfer haben gezeigt, dass Solidarität kein leeres Wort ist. Sie haben gezeigt, dass sie da sind, wenn sie gebraucht werden. Sie haben gezeigt, dass es in Österreich viel Menschlichkeit, Großzügigkeit und Warmherzigkeit gibt. Danke!"

Flüchtlingssituation in Österreich

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